Europa soll im Orbit nicht länger von Unternehmen oder anderen Staaten abhängig sein. Deshalb investiert die Europäische Union 2,4 Milliarden Euro in ein neues Satellitensystem. Aus technischer Sicht ist das Projekt umstritten.
Gioia da Silva
Eine schnelle, stabile und sichere Internetverbindung für alle Bürgerinnen und Bürger und alle Unternehmen in Europa: Nicht weniger verspricht sich die Europäische Union von ihrem neuen Satellitenprojekt. Unter dem Namen Iris2 will sie bis zum Jahr 2027 ein Netzwerk von Satelliten aufbauen, das auch dazu dienen soll, die kritischen Infrastrukturen besser zu schützen.
Wie aus der Mitteilung der EU hervorgeht, soll das Projekt Hunderte von Satelliten einschliessen. Sie sollen die Internetverbindung in Europa aufrechterhalten, falls Naturkatastrophen, Cyberattacken oder sonstige Beschädigungen die Internetinfrastruktur auf der Erde lahmlegen. Es soll damit aber auch gelingen, Funklöcher in strategisch wichtigen Regionen wie der Arktis oder Afrika zu schliessen.
Für das Projekt sollen in den kommenden Jahren 2,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt gesprochen werden. Darauf einigten sich Unterhändler des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten am Donnerstagabend. Die Einigung muss noch formell vom EU-Parlament und von den Staaten bestätigt werden.
Der Start des Projektes war in Brüssel aber holperig. Der Ausschuss für Regulierungskontrolle lehnte das Vorhaben zweimal ab, wegen fehlender «analytischer Kohärenz» und ungeklärter Fragen in der Finanzierung. Nur dank einem Machtwort von Maros Sefcovic, dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, kam es überhaupt zur Abstimmung der Unterhändler.
Ist die Technik weit genug? Bei Starlink zeigen sich die Schwierigkeiten
Fachleute reagieren zurückhaltend. Adrian Perrig, Informatikprofessor an der ETH Zürich, der selbst an sicheren Internetprojekten forscht, begrüsst die Pläne der EU im Grundsatz zwar. Ein eigenständiges Satellitennetz könnte aus seiner Sicht die strategische Sicherheit von Europa «massgeblich unterstützen». Ob das Projekt aber von Nutzen sein werde, werde erst die Ausgestaltung der Details zeigen, sagt Perrig.
Dass diese nicht einfach werden dürfte, hat Starlink vorgemacht, das Satellitennetzwerk des privaten Raumfahrtunternehmens SpaceX. Iris2 – das Kürzel steht für «Infrastructure for Resilience, Interconnection and Security by Satellites» – kopiert grösstenteils die Mission von Starlink, das ebenfalls dazu verwendet werden soll, entlegene Weltregionen mit sicherem Internet zu verbinden. Bisher gelang dies nur unvollständig und dank einem technischen Trick.
Das Problem der heutigen Technik: Die meisten bisherigen Satelliten können nicht ausreichend schnell untereinander kommunizieren. Dies liegt daran, dass die Lasertechnologie, die dafür ideal wäre, noch nicht marktreif war. Damit Starlink-Satelliten Nutzerinnen und Nutzer mit dem Internet verbinden können, müssen sie sich mit einer Bodenstation verbinden. Das dauert länger und ist unsicherer, als wenn die Satelliten direkt miteinander kommunizieren würden – gerade auch im Krisenfall einer Cyberattacke oder einer Naturkatastrophe.
Die ersten Satelliten mit der neuen Lasertechnologie wurden erst Anfang Jahr ins Orbit geschossen. Die Erfahrungen damit sind noch spärlich. Entscheidet sich die EU also für eine bestimmte Technik, geht sie damit ein Risiko ein.
Geopolitische Überlegungen spielen mit
Dass es der EU bei dem Programm nicht nur um technische Überlegungen geht, sondern auch um die Geopolitik, zeigen Äusserungen von beteiligten Politikerinnen und Politikern. So sagte die deutsche Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU), das Programm sei ein wichtiger Schritt hin zu mehr strategischer Autonomie Europas. Der Krieg in der Ukraine habe gezeigt, dass die EU bei der Satellitenkommunikation bis jetzt komplett von Drittstaaten oder privaten Unternehmen abhängig sei. Dies soll Iris2 nun ändern.
Dass sich die EU dabei nicht von anderen Staaten abhängen lassen will, zeigen Dokumente der EU-Kommission aus der Vorbereitung zur Abstimmung. Darin wird dargelegt, dass China bis 2025 ein Netzwerk von 13000 Satelliten im Orbit betreiben möchte. Der erdnahe Orbit wird damit immer stärker beansprucht. Es geht also auch darum, dass sich die EU schon einmal ihren Platz in der Erdumlaufbahn sichert – bevor sich andere dort zu stark ausbreiten.
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